Die künstliche Verknappung von Getreidevorräten und das Herbeiführen von Hunger in der Welt ist Teil der russischen Kriegsstrategie. Der Hunger soll Migrationsdruck auf westliche Staaten ausüben.
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“
(„Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht)
So oder ähnlich denken es sich wohl die Moskauer Strategen, wenn sie einerseits Getreidesilos in der Ukraine plündern und gleichzeitig die Schiffstransporte von Getreide in die Welt verhindern. Getreide wird zum Faustpfand, um die russischen Ansprüche durchzusetzen. Die Kriegführung Russlands ist perfide und archaisch und passt in das Schema Putins, der sich als KGB-Funktionär bestens mit hybrider Kriegsführung auskennt: Verunsichern, Destabilisieren, desinformieren und am Ende eben auch aushungern.
Nahrungsmittelrohstoffe wurden und werden an der Börse gehandelt. Die Verfügbarkeit bestimmt die Preise, zu denen gekauft und geliefert wird. Engpässe jedweder Art schlagen sich sofort auf den Welthandel nieder. Für vergleichsweise reiche Länder in Europa und andernorts ist das kein größeres Problem, für die Menschen in manch anderem Land hat dies jedoch spürbare Auswirkungen. Durch den Hunger in der Sahelzone etwa könnte in der Folge eine Flüchtlingsbewegung gen EU einsetzen. Die von Wladimir Putin seit jeher unterstützten Rechtspopulisten würden erstarken und für Verunsicherung und Spaltung in den Ländern der EU führen. Soweit die vermutliche Strategie.
Nicht wir haben die Situation herbeigeführt, sondern allein Russland durch seinen ungerechtfertigten Angriffskrieg. Dennoch sind wir, die vergleichsweise reichen Länder der EU, moralisch dazu verpflichtet, alles zu tun, um einer weltweiten Hungersnot entgegenzuwirken.
Was bedeutet dies für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe? Sollten wir die Agrarflächen nicht doch besser für die Produktion von Lebensmitteln vorhalten?
Es kommt auf den Einzelfall an. Viele biobasierten Produkte nutzen Reststoffe als Ausgangsbasis. Darüber hinaus können manche Agrarflächen gar nicht ohne Weiteres für die Getreideproduktion umgestellt werden. Außerdem die Aussaat auf der Nordhalbkugel längst erfolgt. Selbst die Tierfutterproduktion kann jetzt nicht kurzfristig umgestellt oder gedrosselt werden. Wenn wir uns mit der Welternährung und der Nutzung nachwachsender Rohstoffe befassen, müssen wir in mittleren und langen Zeiträumen planen und denken.
Gleichwohl müssen wir uns jetzt entscheiden, wie wir leben möchten. Wollen wir weiterhin viel Fläche für die Erzeugung von Tierfutter zur Fleischproduktion vorhalten und Erdöl und Erdgas für die Herstellung unserer Waren nutzen oder werden wir zukünftig auf eine nachhaltige Rohstoffversorgung setzen?
Die Gier nach fossilen Rohstoffen waren immer Anlass für Krieg und Unterdrückung. Das Problem der fossilen Rohstoffe kann nicht gleichzeitig die Lösung für die Zukunft sein. Frei nach dem deutschen Finanzminister Christian Lindner sind erneuerbare Rohstoffe eben auch ‚Friedensrohstoffe‘. In der aktuellen Situation müssen wir unseren Konsum besonders gut überdenken. Etwas Verzicht im Ganzen und ist die angemessene Antwort auf die derzeitige Krise.
Wir alle wünschen uns ein baldiges Ende des Krieges in der Ukraine. Wenn die Ukraine frei und unabhängig ihren politischen Weg gehen kann, werden sich die weltweiten Lieferketten für Lebensmittel bald wieder normalisieren.
Wenn sie frei ist..!
Verweise:
[1] Frankfurter Allgemeine ,Majid Sattar: „Wenn Sie ein Herz haben, öffnen Sie die Häfen“, Online-Angebot der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ernaehrungskrise-durch-den-ukraine-krieg-konferenz-bei-den-un-18042707.html, Abruf am 19.05.2022
[2] ARD-Tagesschau: „Weizen-Züge gegen die Hungerkatastrophe?“, Internetseite der ARD-Tagesschau, URL: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/weizen-transport-bahn-gueterzuege-101.html , Abruf am 19.05.2022